Geschichten helfen uns dabei, die Welt zu verstehen. Und Fotografie ist eine Sprache, die jeder versteht.
Um visuelle Geschichten erfolgreich zu erzählen, müssen sie ansprechend, informativ und klar verständlich sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass es klar auf der Hand liegt, welche Bilder du aufnehmen solltest oder was in der Bearbeitung einbezogen bzw. ausgeschlossen werden sollte. Was genau ist denn nun Storytelling im Fotojournalismus und wie erzählt dieses Genre eine Geschichte?
Im Großen und Ganzen nutzt der Fotojournalismus Fotografien als Schlüsselkomponente in einer Nachrichtenbeitrag oder einem Artikel. Das geschriebene Wort spielt nur eine Nebenrolle im Storytelling-Prozess. Ausdrucksstarke und aufrüttelnde Bilder sind deshalb ein wesentlicher Bestandteil, um das Publikum zu fesseln und sein Interesse aufrechtzuerhalten. In einer Welt der Bilderflut kann weniger manchmal mehr sein. „Sobald du deine Geschichte zusammenhast, musst du sie akribisch redigieren“, sagt Journalist, Pädagoge und ehemaliger Head of Photography bei AFP Francis Kohl. Er rät, einen guten Redakteur zu finden, weil man „mit 15 oder weniger Fotos eine sehr gute Geschichte erzählen kann“.
Jedes Jahr besuchen viele der besten visuellen Geschichtenerzähler der Branche die Professional Week auf dem Visa pour l'Image in Perpignan, Frankreich. Das Event ist eine Gelegenheit für Bildredakteure und Fotografen, ihre Ratschläge für das Entwickeln einer Geschichte mit Gleichgesinnten zu teilen. Hier zeigen Brent Stirton, Thomas Borberg, Laura Morton, Ilvy Njiokiktjien, Ivor Prickett und Pascal Maitre, wie man eine gute Geschichte ausfindig macht, wann man weiß, dass sie fertig ist, und wie es dann weitergeht. Wir haben auch mit der Dokumentar- und Porträtfotografin Natalya Saprunova über ihre Erfahrungen gesprochen. Sie hat eines der 2022 Canon Female Photojournalist Grant Stipendien erhalten.
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Geschichten erfolgreich erzählen: Wie man das Publikum fesselt
Was ist deine Geschichte?
Saprunova ist eine freiberufliche Fotojournalistin, die in ihrer Arbeit die moderne Gesellschaft erforscht und dabei insbesondere den Fokus auf indigene Communitys legt und darauf, wie sich an eine Welt im Wandel anpassen. Sie ist überzeugt, dass sich der Fotojournalismus in den vergangenen Jahren geändert hat und rät, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, wie man seine Arbeit der Öffentlichkeit zugänglich macht. „Heutzutage sehen sich die Menschen Geschichten wesentlich häufiger im Internet oder auf ihren Smartphones an. Aber es ist immer noch wichtig, die Bilder auch in Magazinen zu veröffentlichen und sie als Prints auf Ausstellungen zu zeigen“, erklärt sie. „Wie du deine Geschichte erzählst, hängt teilweise vom Magazin, von der Ausstellung, vom Festival oder Onlinemedium ab, die du nutzen willst.
Verleger haben ihre eigenen Kriterien dafür, wie sie eine Geschichte veröffentlichen wollen. Du musst also vorab deren Richtlinien einholen, um sicherzustellen, dass du ihnen das lieferst, was sie brauchen.“
Selbst wenn sie nach Vorgaben arbeitet, versucht sich Saprunova immer Optionen offen zu halten. „Später willst du vielleicht ein Fotobuch erstellen, eine Ausstellung ausrichten oder einen Bilderbogen für ein Festival einreichen. Es ist gut, eine Auswahl an Bildern zu haben, damit du dieselbe Geschichte mit unterschiedlichen Bildersets erzählen kannst, die auf unterschiedliche Kanäle zugeschnitten sind.“
Du studierst Fotografie oder Film?
Finde und vertrete einen starken Blickwinkel
Für Saprunova eignet sich ein menschlicher Blickwinkel am besten. „Ich erzähle gerne Geschichten über Menschen und ihre Lebensarten“, erklärt sie. „Um das effektiv machen zu können, muss ich viel Zeit mit diesen Menschen verbringen: ich muss sie kennenlernen, wissen, wie sie leben und arbeiten und was ihnen wichtig ist. Eine Agentur kann hilfreich dabei sein, Projektideen an unterschiedliche Verleger zu pitchen. Es ist auch hilfreich, Beziehungen zu den Mitarbeitenden von Magazinen und anderen Medienkanälen aufzubauen. So kannst du an Aufträge für Geschichten kommen und auch deine eigenen Ideen vorbringen.“
Auch wenn es von Vorteil ist, mehrere Blickwinkel im Kopf zu haben, lautet Saprunovas Tipp: „Für gewöhnlich ist es am besten, wenn eine Geschichte im Kontext des aktuellen Weltgeschehens verankert ist.“
Finde deine Themen
„Als Fotojournalist muss man den journalistischen Aspekt berücksichtigen. Dieser muss sich in den von dir verfassten Bildunterschriften und den von dir getroffenen Entscheidungen widerspiegeln, d. h. du musst deine visuellen Ressourcen entsprechend priorisieren“, erklärt der Dokumentarfotograf und mehrfach preisgekrönte Canon Botschafter Brent Stirton. „Was sind die wichtigsten Aspekte? Beim Redigieren deiner Arbeiten solltest du die Elemente finden, die diese Themen wirklich aufgreifen, und dich dann fragen, in welcher Reihenfolge du sie präsentieren möchtest. Wie füge ich diese Dinge so zusammen, dass ich erstens einen Redakteur und zweitens ein Publikum damit anspreche?“
Diskutiere deine Ideen
„Mein bester Rat für die Entwicklung einer Geschichte ist, mit anderen Menschen darüber zu sprechen, bevor du losziehst und wenn du wieder zurückkehrst“, sagt Thomas Borberg, Photo Editor-in-Chief der Zeitung Politiken aus Dänemark.
„Erzähle deine Geschichte, zeige anderen dein Rohmaterial, und sammle Feedback. Der Redaktionsvorgang ist nämlich genauso wichtig wie die Vorarbeit, die du leistest, bevor du zu deinem Auftrag aufbrichst“, erklärt er weiter. „Es gibt keine festen Regeln dafür, wie viele Bilder deine Geschichte enthalten muss. Das hängt ganz von der Geschichte ab. Glücklicherweise gibt es im Allgemeinen nur sehr wenige Regeln, und wenn es Regeln gibt, solltest du sie lieber brechen.“
Recherche ist wichtig
„Ich glaube, der erste Schritt in der Entwicklung einer guten Geschichte besteht darin, zu recherchieren, zu lesen und so viele Materialien und Informationen wie möglich zu sammeln, sei es in Form von Nachrichten, Dokumentationen oder Büchern“, sagt Fotojournalist und Canon Botschafter Ivor Prickett. „Ich ziehe meine Ideen aus all diesen Quellen.“
„Schau dir so viele wie möglich davon an. Wenn du dann eine gute Idee gefunden hast, nimm dir die Zeit, sie zu erkunden. Nicht alles, was auf Papier gut aussieht, funktioniert auch als Fotoreportage. Man muss viele verschiedene Dinge ausprobieren, um die richtige Idee ins Rollen zu bringen, und das kann viel Zeit kosten.“
Saprunova ist davon überzeugt, sofern möglich, bei einer Geschichte zu bleiben. Aber sie ist auch Realistin. „Ich hasse es, ein Projekt aufgeben zu müssen“, erklärt sie. „Wenn es sich um eine Geschichte handelt, die ich erzählen will, dann neige ich dazu, so lange wie erforderlich dranzubleiben. Wenn es ein Job ist, der sich lohnt, dann kann man es nicht überstürzen. Schlussendlich ist es aber so, dass wenn du mit dem Fotojournalismus deinen Lebensunterhalt bestreitest, du in der Lage sein musst, einen Schlussstrich unter ein Projekt zu ziehen, wenn es nicht sein soll, und dich einer neuen Aufgabe widmen.“
Unterschiedliche Medien ausprobieren
„Es geht nicht mehr nur um die Bilder“, fährt Saprunova fort. „Du musst dir Gedanken darüber machen, wie du dein Publikum erreichen und unterschiedliche Medien effektiv einsetzen kannst. Da so viel online veröffentlich wird, ist der Fotojournalismus eher zu einer Art multimedialen Entität geworden. Es lohnt sich also, verschiede Medien zu kombinieren, um deine Botschaft zu vermitteln. Es kann eine Herausforderung sein, ein Video hinzuzufügen, wenn du Fotos aufnimmst, vor allem wenn du alleine bist. Aber es gibt Momente, in denen bewegte Bilder zu deiner Geschichte enorm viel beitragen können.“
Es gilt jedoch nach wie vor: Starke Bilder sind von entscheidender Bedeutung. „Die Komposition ist entscheidend,“ erklärt Saprunova. „Es ist wichtig, sich einen offenen Blick zu bewahren und nach interessanten Dingen Ausschau zu halten. Manchmal ist das eine Landschaft und wie das Licht zu der Stimmung, die du rüberbringen willst, beiträgt. Ein anderes Mal bringt ein Porträt in Nahaufnahme deine Botschaft genau rüber. Porträts in einer Landschaft können entscheidend dafür sein, die Person mit ihrer Rolle in der Geschichte zu verknüpfen. Schlussendlich geht es bei den meisten Geschichten um die Interaktion von Menschen mit ihrer Umgebung.“
Finde heraus, was die Experten auf dem Visa pour l'Image 2019 zum visuellen Storytelling zu sagen hatten:
James Nachtwey über die Kraft des Fotojournalismus
Sei prägnant
„Eine gute Geschichte ist eine Geschichte, die sich in einer Zeile zusammenfassen lässt“, sagt Fotojournalist und Canon Botschafter Pascal Maitre, der in über 30 Jahren Geschichten aus mehr als 40 Ländern dokumentiert hat. „Wenn du deine Geschichte erst erklären musst, ist sie kompliziert. Und wenn sie kompliziert ist, brauchst du viele Bilder dafür. Und dafür ist in den Zeitschriften einfach kein Platz. Als Fotograf brauchst du eine Geschichte mit einem riesigen visuellen Potenzial.“
„Zu Beginn hast du eine Vorstellung davon, was du zum Erzählen einer Geschichte benötigst. Betrachte diese Geschichten als einzelne Kapitel: Du musst alle diese Punkte zusammentragen, und wenn du denn ein gutes Bild für jedes Kapitel gefunden hast, ist die Geschichte mehr oder weniger fertig. Du kannst dich jahrelang mit einer Geschichte befassen, aber es wird nicht viel mehr dabei herumkommen. Es lohnt sich, sich der nächsten Geschichte zuzuwenden.“
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